15.

KEINE GEGENSÄTZE ZWISCHEN FINNLAND UND DEN GROSSMÄCHTEN

In Hörfunk und Fernsehen am 5. November 1961

Vor zwei Tagen kam ich von einer Besuchsreise zurück, die mich auf Einladung des kanadischen Premierministers Diefenbaker nach Kanada und auf Einladung von Präsident Kennedy in die USA führte. In Kanada hielt ich mich eine Woche und in den USA zwei Wochen auf. Während der Reise hatte ich auch Gelegenheit, das Hauptquartier der Vereinten Nationen zu besuchen und vor dem UNO-Plenum zu sprechen.

Zum ersten Male besuchte jetzt der Präsident der Republik Finnland die genannten Länder und die UNO. Darum ist es besonders angebracht, dem finnischen Volk eine Erklärung darüber abzugeben, was während unserer Reise geschah und auf welche Art diese Reise zu bewerten ist.

Während der Reise hatten ich und meine Begleitung Gelegenheit, die führenden Staatsmänner Kanadas und der USA sowie bedeutende Männer der Wirtschaft zu treffen und mit ihnen Gedanken auszutauschen. Wir hatten auch Gelegenheit, uns recht vielseitig mit der Wirtschaft dieser Länder bekanntzumachen. Sowohl in Kanada als auch in den USA trafen wir bei mehreren Gelegenheiten finnische Auswanderer und ihre Nachkommen, und wir besuchten in diesen Ländern mehrere Gebiete, wo die Besiedlung durch Finnen besonders konzentriert ist.

Meine Reise fiel mit einem weltpolitisch außerordentlich schwierigen und angespannten Zeitpunkt zusammen, da die Beziehungen zwischen den führenden Großmächten auf erschreckende Art zugespitzt sind und mehrere extrem schwierige internationale Probleme, die Meinungsverschiedenheiten verursacht haben, auf ihre Lösung warten. Da war es natürlich, daß die zahlreichen Gespräche und Gelegenheiten zum Gedankenaustausch, die ich sowohl mit dem kanadischen Premier- und dem Außenminister als auch mit dem Präsidenten und dem Außenminister der Vereinigten Staaten hatte, sich außergewöhnlich bedeutungsvoll und nützlich gestalteten. Die Treffen mit diesen bemerkenswerten Staatsmännern akkumulierten stärker und dehnten sich länger aus, als im Programm ursprünglich vorgesehen war. Vor allem Präsident Kennedy, auf dessen Schultern als Repräsentant einer Großmacht eine unfaßbare Verantwortung für die Entwicklung der weltpolitischen Situation ruht, zeigte ein ungewöhnlich großes und lebhaftes Interesse an unseren Gesprächen, die nach meiner Überzeugung -- und das brachte auch Präsident Kennedy öffentlich zum Ausdruck -- für beide Seiten interessant und nützlich waren. Alle Gespräche erfolgten offen und in einer freundschaftlichen, verständnisvollen Atmosphäre. Irgendwelche offiziellen Verhandlungen wurden nicht geführt, und das war auch nicht bezweckt, weil im Verhältnis Finnlands zu Kanada und zu den Vereinigten Staaten keine konkreten Fragen aufgetaucht sind, über die spezielle Verhandlungen zu führen Grund bestanden hätte.

Diese Gespräche betrafen hauptsächlich zentrale internationale Probleme, die derzeit aktuell sind. Es war außerordentlich instruktiv, die Informationen und Auffassungen zu hören, welche die führenden Staatsmänner des Westens sich gebildet hatten. Ich hatte während dieses schicksalsschwangeren Herbstes die ungewöhnliche Möglichkeit, innerhalb eines Monats sowohl mit dem Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, L.I. Breschnew, als auch mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, J.F. Kennedy, zu sprechen. Die Gespräche waren umfangreich, offenherzig und freundschaftlich. Derartige Gespräche geben ein Bild von der Art und den Schwierigkeiten internationaler Probleme, von der Politik, von den Zielen und Bestrebungen der Politik der Großmächte sowie von den vielen Hintergrundfaktoren, deren Kenntnis bestimmte politische Entscheidungen verständlich macht. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, in welch großem Umfang derartige Gespräche die Möglichkeiten vergrößern, die Lösungen für das eigene Land im Gedanken an die internationale Entwicklung richtig einzuordnen. Andererseits ist es verständlich, daß Staatsmänner im Westen ebenso wie im Osten Interesse haben, direkte Informationen darüber zu bekommen, wie die Dinge aussehen, wenn man sie von der Position eines neutralen, zwischen der Ost- und der Westgruppierung liegenden Landes betrachtet, sei es auch, daß unser Land weder irgendein großpolitischer Machtfaktor in dieser unruhigen Welt ist, noch danach strebt, einer zu sein.

Die Gespräche während meiner Reise betrafen natürlich auch die wirtschaftlichen Fragen, die mit unserem Außenhandel und mit unserer Zahlungsbilanz zusammenhängen. Wir hatten vielfach die Möglichkeit, unseren Gastgebern die Prinzipien und Ziele der von uns verfolgten Handels- und Kreditpolitik zu erklären sowie die große Bedeutung des Außenhandels für die Wirtschaft unseres Landes und den Wohlstand unseres Volkes zu unterstreichen. Es besteht Grund zu glauben, daß die Gespräche, die den Handel und andere wirtschaftliche Fragen betrafen, einen permanenten wirtschaftlichen Nutzen für unser Land erbringen können. Auch die Repräsentanten aus dem finnischen Wirtschaftsleben, die im Zusammenhang mit meiner Reise die USA besuchten, erhielten Gelegenheit, mit ihren Gastgebern Ansichten über die Fragen ihres Fachgebiets auszutauschen.

Obwohl ich ja sowohl in Kanada als auch in den Vereinigten Staaten offizieller Gast war, war das Programm so organisiert, daß ich und meine Begleitung Gelegenheit hatten, auf zahlreichen Empfängen oder auf speziellen Festveranstaltungen die finnischstämmigen Auswanderer Kanadas und der Vereinigten Staaten zu treffen. Wir trafen sie zu Tausenden und überbrachten ihnen die Grüße des finnischen Volkes. Es war richtig bewegend, mitzuerleben, mit welch warmen Gefühlen diese Auswanderer, die schon lange in jenen Ländern leben, Finnlands und ihrer in Finnland lebenden Verwandten gedenken. Wir bekamen von ihnen derart viele allgemeine und persönliche Grüße aufgetragen, daß es unmöglich ist, sie anders weiterzuvermitteln, als durch das öffentliche Wort und Bild. Es war das erste Mal, daß der Hauptrepräsentant des Staates Finnland hinausfuhr, um Amerikafinnen zu treffen, die natürlich loyale Bürger ihres neuen Heimatlandes sind. Ich würde glauben, daß diese Begegnungen auch für die aus Finnland stammenden Auswanderer im Gedächtnis bleibende Anlässe sind, so warm war das vorherrschende Gefühl, und in so vielen Augenwinkeln schimmerten Tränen des Gedenkens an Finnland-Erinnerungen. Die aus Finnland stammenden Auswanderer sind unter den Bedingungen des amerikanischen Kontinents im allgemeinen gut -- viele sogar ausgezeichnet -- zurechtgekommen.

Meine Ansicht ist: Die lange Reise nach Kanada und die in die Vereinigten Staaten war ein Ereignis, das als Erläuterungsfaktor für die Stellung unseres Landes und die Bestrebungen unseres Volkes große Dimensionen hat.

Am Anfang war berechnet, daß ich Anlaß haben würde, während meiner Amerikareise zwanzig Ansprachen und Reden zu halten. Ihre Anzahl dürfte jedoch auf fast vierzig gestiegen sein. Einen großen Teil dieser "überschüssigen" Reden hielt ich dort, wo Finnen wohnten. Ich habe bemerkt, daß der Vorsitzende einer einflußreichen Partei hier im Heimatland meine Reden kritisiert und sich darüber gewundert hat, daß Bürger unseres selbständigen Landes es für nötig gehalten haben, darüber zu sprechen, wie es "Finnland geglückt ist, seine Selbständigkeit in den Stürmen des Zweiten Weltkriegs zu bewahren". Er scheint von sich aus erklärt zu haben: "Das war ja unser Recht und auch unsere Pflicht und nicht ein Zufall, der von außenpolitischen Faktoren oder irgendeiner einzelnen Person herrührte." Ich erinnere mich wohl, wie mein verehrter Vorgänger Paasikivi als Ministerpräsident nach dem Krieg die Rede eines Abgeordneten anhören mußte, welche die Arbeit der Regierung scharf kritisierte. Als Paasikivi das Wort erteilt wurde, forderte er den Abgeordneten auf, nach Hause zu gehen, eine Landkarte herauszuholen und nachzusehen, wo Finnland liegt. Ich würde dem Vorsitzenden denselben Rat erteilen. Auf jedem Blatt der Geschichte gibt es Beispiele dafür, daß es für kein Volk ein klares, auf die "Naturordnung" gegründetes Recht auf seine Selbständigkeit und sein Territorium gibt. Die Selbständigkeit muß bildlich gesprochen, jeden Tag neu erobert werden. Sie muß in täglicher Arbeit, mit täglichen Opfern neu verteidigt werden. Tatsache ist, daß wir -- im Gegensatz zu vielen anderen Völkern und wenn auch zum Preis schwerer Prüfungen -- in den Stürmen des Zweiten Weltkriegs unsere Selbständigkeit und unser Gesellschaftssystem haben bewahren können, was ich nach wie vor für eine große Leistung zu halten mich erkühne. So verstanden es auch meine amerikanischen Zuhörer, die bei meiner Feststellung oft in Beifallskundgebungen ausbrachen.

Der rote Faden meiner Rede waren der wirtschaftliche Aufstieg unseres Landes nach dem Ende der Nachkriegsschwierigkeiten sowie die Konsolidierung unserer politischen Stellung. Wenn ich die wirtschaftliche Entwicklung darlegte, so sagte ich, daß diese vor allem im Zeichen unserer eigenen Arbeit und unseres Glaubens an die Zukunft erfolgt ist. Wir haben vom Ausland nichts gratis erhalten, und wir nehmen wirtschaftliche Hilfe aus keiner Himmelsrichtung entgegen. Als kapitalarmes Land zeigen wir natürlich ein großes Interesse an ausländischen Krediten, aber wir zahlen sie mit Zinsen bis zum letzten Cent zurück. Es ist schon fast zur Gewohnheit geworden, daß ausländische Staatsmänner in die USA fahren, um Unterstützung oder Kredite zu erbitten, hinsichtlich deren Rückzahlung der Geber schon von Anfang an oft sehr schwache Hoffnungen hat. Wenn Finnland sich in der Schlange der Bittenden angestellt hätte, so wäre das sicher von niemandem bemerkt worden, aber jetzt haben unsere Klarstellung und unsere Stellungnahme zu Unterstützungen und Krediten Respekt von Küste zu Küste erregt. Ein Staatsmann, den wir trafen, erklärte sogar, daß ihn noch niemand besucht hätte, der um weniger gebeten hat.

In diesem Zusammenhang muß ich daran denken, daß sich eine Zeitung in Turku (südfinnische Stadt) an der Behauptung begeistert hat, daß die Äußerungen von Präsident Kennedy während meiner Reise, in denen er das finnische Volk herausstrich, über das Ziel hinausschießen. Präsident Kennedy ist nicht der einzige, der den Leistungen des finnischen Volkes lobende Aussprüche zollte. Etwa deswegen betrachte ich meine Reise dennoch nicht als mißlungen.

Das Darlegen unserer politischen Stellung konzentrierte sich auf das Erklären unserer Neutralität. Ich sagte in einem Gespräch, daß ich nicht gekommen sei, um Neutralität zu verkaufen, denn die Neutralität hat gleichviele Formen, wie es neutrale Staaten gibt. Ich sei gekommen, um für unsere Neutralität Verständnis und Anerkennung zu erwecken. Besonders große, in gewissem Sinne historische Bedeutung kommt daher dem amtlichen Kommunique zu, das ich zusammen mit Präsident Kennedy über das Ergebnis der zwischen uns geführten Gespräche veröffentlichen konnte und worin die von Finnland aufgenommene und verfolgte neutrale Außenpolitik eine offizielle Anerkennung von der führenden Großmacht des Westens erhält. Wir Finnen können jetzt konstatieren, daß die politische Position, auf die wir uns festgelegt haben, Verständnis und Anerkennung in Ost und West gefunden hat. Vor allem in der gegenwärtigen zugespitzten Weltsituation sind Bedeutung und Wert des Erreichten für jeden finnischen Staatsbürger leicht zu verstehen.

Ich habe die hier vorgebrachte spitzige Kritik bemerkt, die sich darauf bezieht, daß in Finnland keine Initiative in der UNO zum Verbot sowjetischer Atomversuche ergriffen hat. Die Sache hängt nicht direkt mit meiner Amerika-Reise zusammen, aber sie hat Verbindung mit unserer Neutralitätspolitik. Finnland war und ist tief besorgt über jeden Atomtest, gleichviel welcher Staat ihn unternimmt, und lehnt sie sämtlich ab. Aber man muß bedenken, daß wir in der UNO keine Initiative zum Verbot französischer Atomwaffentests ergriffen, obgleich leicht einzusehen war, daß deren Durchführung in einer Zeit, da über einen Teststopp verhandelt wird und ein freiwilliger Testverzicht für diese Zeit ausgemacht war, zu nichts anderem führen konnten als zu neuen Tests. Als Finnland für eine Entschließung der UNO stimmte, daß keine Versuche in der Megatonnenklasse gemacht werden sollen, so rührte dies durchaus nicht daher, daß die Versuche von der Sowjetunion durchgeführt wurden, und auch nicht in erster Linie daher, daß der Testort relativ nahe an Finnland lag, sondern lag daran, daß Finnland unaussprechliche Besorgnis über die weltpolitische Spannung hegt, deren Symptom die Atombombe ist. Als ich Amerika verließ, wurde dort ernsthaft darüber gesprochen, daß die Vereinigten Staaten möglicherweise Atomwaffenversuche in der Atmosphäre durchführen werden. Sollten wir jetzt wohl in der UNO ein Ersuchen unterschreiben, daß die USA dies unterläßt? Dann wäre man genau auf dem Weg, der bedeutet, zwischen den Konflikten der Großmächte hin und her geworfen zu werden. In der Politik wie im Schachspiel sollte man die voraufgegangenen Züge im Kopf behalten und einige Züge vorausdenken. Das haben meiner Ansicht nach die nicht getan, die darangegangen sind, Finnlands Verhaltensweise in der UNO zu kritisieren.

Da ich gerade aus Amerika komme, darf es wohl gestattet sein, daß ich mich auf einen dort gelesenen Ausspruch des großen amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln beziehe, der einmal sagte: "Er ist wie ein Mensch, der beide Elternteile ermordet hat und jetzt um Gnade mit der Begründung bittet, daß er Waise ist."

Wenn wir selbst den Ast unserer Neutralitätspolitik absägen, dann ist es zwecklos, um Gnade mit der Begründung zu bitten, daß wir humpeln, weil wir uns beim Fall das Bein gebrochen haben.

In der Neujahrsrede seines Todesjahres forderte Paasikivi auf, alle Gesten und Haltungen zu vermeiden, die keine andere als demonstrative Bedeutung haben, die aber unserem Land schaden könnten. Wenn wir uns in der Welt umsehen, so gibt es in jeder Himmelsrichtung Dinge, gegen die man im Namen der Menschlichkeit protestieren müßte. Aber wir tun das nicht. Unser Vorgehen wird auch in diesem Fall von unserer Außenpolitik bestimmt. Zwischen ihr und einer Protestpolitik besteht ein großer Unterschied.

Ich setze voraus, man erwartet von mir, daß ich in diesem Zusammenhang die Note behandele, welche die Sowjetunion Finnland am 30. Oktober zugestellt hat. Ohne in diesem Zusammenhang auf die Sache selbst einzugehen, hielt ich es am Anfang für bedauerlich, daß diese eintraf, bevor ich meine letzten Reden in Amerika gehalten hatte, unter anderem deswegen, weil mich dies vor eine schwere Aufgabe stellte. Späterhin änderte sich meine Auffassung, und ich bin außerordentlich befriedigt darüber, daß ich bei meiner Rede in Los Angeles, die über Hörfunk und Fernsehen verbreitet wurde, meine frischeste Ansicht zu der Sache darlegen konnte. Ich sagte, daß der sowjetische Konsultationsvorschlag nichts prinzipiell Neues in die Vertragsbeziehungen zwischen Finnland und der Sowjetunion hineinbringt, aber daß sie ein Anzeichen jener unerhört ernsten politischen Spannungssituation ist, welche in Europa herrscht. Ich konnte bemerken, daß der unmotivierte Lärm, den die Weltpresse entfacht hatte, durch den vertrauensvollen Ton meiner Rede teilweise zum Verstummen gekommen ist.

Nach der Rückkehr in die Heimat habe ich den vollständigen Text der Note erhalten und mich zusammen mit einigen Regierungsmitgliedern in ihn gründlich vertieft.

Die Note hat zwei Teile: einen militärischen und einen politischen.

Der erstgenannte gibt Anlaß zu ernster Besorgnis, denn die Kriegsgefahr in Europa ist im Wachsen. Niemand bildet sich natürlich ein, daß "Deutschland oder mit Deutschland verbündete Staaten" (Zitat aus dem Beistandsvertrag von 1948) einen gesonderten Angriffsfeldzug über finnisches Gebiet gegen die Sowjetunion durchführen könnten. Aber wenn ein großer Krieg um West-Berlin oder sonstwo ausbricht, dann wird es durch Finnlands geographische Situation als Ostseestaat möglich, daß im Zeitalter der modernen Kriegsmittel finnisches Territorium zu Lande, zu Wasser oder in der Luft verletzt werden kann. Solcherart sind die Positionen der militärischen Bündnisse in Nordeuropa. Ich weiß wohl, daß in der Sowjetunion große Besorgnis über die schnelle Aufrüstung Westdeutschlands herrscht, und ich habe es vor den Staatsmännern des Westens nicht verhehlt, daß ich persönlich für Finnland Besorgnis aus demselben Grunde fühle. Ich weiß, daß die Nordatlantische Organisation zu Verteidigungszwecken gegründet wurde.

In diesem Zusammenhang besteht keine Ursache, auf die Frage einzugehen, ob die im Artikel II des Freundschafts- und Beistandsvertrages genannten Voraussetzungen für Konsultationen gegeben sind; zu dieser Sache ist von finnischer Seite der Standpunkt noch nicht definiert worden. Aber es ist durchaus angebracht, die Ansichten einiger ausländischer Blätter über die Bedrohung der Selbständigkeit Finnlands, Forderung von Stützpunkten, Druck zum Auswechseln der Regierung usw., als völlig unsinnig zurückzuweisen. Die ausländischen Journalisten werden natürlich verärgert sein, aber ich habe wieder Grund, ihnen zu sagen: "Verkauft den Bärenpelz nicht, ehe Meister Petz erlegt ist."

Der im politischen Teil der Note entscheidend wichtigste Passus ist die Anerkennung, die der von Finnland gewählten politischen Orientierung gezollt wird. Die Sache verhält sich genau andersherum, als eine schwedische Zeitung behauptet, die berichtet, daß "sogar Finnlands guter Wille, gute Beziehungen mit der Sowjetunionen aufrechtzuerhalten, in Frage gestellt wird". Die finnische Neutralitätspolitik erhielt wieder einmal die Anerkennung der sowjetischen Regierung, und Finnland kann auf dem gut markierten außenpolitischen Weg voranschreiten, für den es in der konsequenten und zähen Arbeit von Jahren die Anerkennung sowohl der östlichen als auch der westlichen Großmacht eingeholt hat.

Wie bekannt, war Präsident Paasikivi unter den damaligen Bedingungen derart vorsichtig, daß er die Definition Neutralität nicht gebrauchte, wenn er unsere Politik charakterisierte. Die Entwicklung der Existenzbedingungen gestattet es seinem Nachfolger, dieser Tatsache Beachtung zu schenken. Ich habe nach bestem Willen und Können im Rahmen der Verfassungsvollmachten für unsere Neutralitätsorientierung und dafür gearbeitet, diese von verschiedenen Staaten anerkannt zu bekommen.

Ich habe während meiner politischen Tätigkeit Fehler begangen und meine, sie zu bekennen ist die erste Voraussetzung dafür, daß ich sie bewußt nicht wieder begehe. Der beste Teil meiner staatspolitischen Arbeit kristallisiert sich um die Verwirklichung der finnischen Neutralitätspolitik. Die Präambel zum Freundschafts- und Beistandsvertrag enthält ein Stück, das unsere Neutralität betrifft, aber erst auf dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion im Jahr 1956, mithin zu Beginn meiner Präsidentschaft, erhielt die Entschließung eine Stellungnahme der Sowjetunion in klaren Worten. Die Großmächte des Westens haben ihre Anerkennung unserer Neutralitätspolitik viel später zum Ausdruck gebracht: England bei meinem Staatsbesuch im letzten Frühjahr und die Vereinigten Staaten sowohl vor einem Jahr auf Regierungsebene als auch nun von seiten des Präsidenten Kennedy, wie ich vorhin schon dargelegt habe.

Das Verwirklichen der finnischen Neutralitätspolitik bedeutet den Inhalt meiner Lebensarbeit: Für die Bewahrung und Konsolidierung dieser Politik arbeite ich bis zu meinem letzten Atemzug. Wenn ich sehe, daß mir diese Arbeit nicht gelingt, dann werde ich meinen Platz freiwillig denen räumen, die ihrer Ansicht nach bessere Möglichkeiten dafür haben.

Ich habe mit dem Gefühl tiefsten Unmuts und Unwillens gelesen, wie im Hauptorgan einer Partei vor einigen Tagen--in Fortsetzung des seit Sommer 1957 andauernden Kesseltreibens -- von mir behauptet wurde, ich strebe eine Bolschewisierung Finnlands an, eine Behauptung, welche die Presse und einige Wahlkampfbüros schweigend akzeptiert haben. Ich habe keine Schuldigkeit, mir etwas Derartiges gefallen zu lassen, und die Behauptung berechtigt mich zu sagen, daß vor Finnland derart ernste Zeiten liegen, daß diese nicht zum Wohl des Volkes von politischen Dilettanten und auch nicht von den Kräften im Hintergrund, denen in der Außenpolitik nie etwas gelungen ist, bewältigt werden können.

Bei meiner Rückkehr in das Heimatland las ich, daß jetzt ungeachtet alter Meinungsverschiedenheiten Einmütigkeit in Fragen des Landes gewünscht wird. Das ist ein äußerst lobenswerter Wunsch. Aber wenn die Einmütigkeit im Zeichen alter Erinnerungen und Instinkte errichtet wird, wenn ihren Boden die Glut überlebter Gefühle bilden soll -- wie echt sie auch immer sein mögen -- oder einfach nur Schlagworte -- wie ernst sie auch immer gemeint sein mögen -- , dann bin ich sicher, daß eine derartige Einmütigkeit nicht zum Ziel führt.

Als ich von San Francisco abfuhr, kam eine alte finnische Frau zu meinem Abschied, die mir die Hand drückte und dabei sagte, sie bete für mich um Weisheit in Dingen unseres Volkes. Dieser schöne Wunsch hat auf mir gelastet. Was ist diese Weisheit? Als ich heute noch einmal Paasikivis berühmtes Abschiedsinterview vom Sommer 1955 las, vermeinte ich, diese Weisheit dort zu finden. Paasikivi sagte: "Außenpolitische Sicherheit ist das wichtigste für alle Völker, aber ganz besonders für Finnland. Wenn wir sie haben, dann geht alles andere schon in Ordnung, das haben die letzten Jahre gezeigt." Die Dinge müssen in die richtige Reihenfolge der Wichtigkeit gebracht werden. Das ist unser Stein der Weisen.

Die Grundmauer unserer Sicherheit sind vertrauensvolle Beziehungen zur Sowjetunion sowie unsere darauf und auf die Anerkennung durch westliche Staaten aufbauende Neutralitätspolitik. Mehr Weisheit benötigen wir nicht, "alles andere geht dann schon in Ordnung". Aber in dieser Frage brauchen wir Einmütigkeit, um so mehr davon, wenn harte Tage vor uns liegen.