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SKANDINAVIEN -- EINE KERNWAFFENFREIE ZONE

Ansprache auf einer Tagung der Paasikivi-Gesellschaft am 28. Mai 1963

Die internationale Entwicklung während der letzten Zeit ist den Hoffnungen auf eine Annäherung zwischen Ost und West nicht gerecht geworden, welche die friedliche Lösung der Ende letzten Jahres im Karibischen Meer ausgebrochenen, unendlich gefährlichen Krise weit und breit geweckt hat. Alle die internationalen Streitfragen, die zwischen den Großmächten Spannung und gegenseitiges Mißtrauen aufrechterhalten, sind nach wie vor ungelöst. Die Verhandlungen über den Abschluß eines Atomtest-Stopvertrags haben noch nicht zu Ergebnissen geführt -- gar nicht zu reden davon, daß es irgendeinen Fortschritt auf dem Gebiet der eigentlichen Abrüstung gegeben hätte. Dahingegen geht das Wettrüsten in gesteigertem Takt weiter. Das zentralste Thema der Weltpolitik ist nach wie vor die Frage, wie man die Kernwaffen in den Griff bekommt. Diese Frage wirft gegenwärtig ihren Schatten über die Zukunftsperspektiven aller Staaten.

Die Möglichkeiten der kleinen Staaten, Einfluß auf diese Entwicklung auszuüben, sind natürlich außerordentlich gering. Die Kernwaffenstaaten, in deren Händen die Macht der Zerstörung dieser Welt liegt, haben auch erstrangige Verantwortung für die Bewahrung des Friedens -- oder für die Existenz der Menschheit. Die kleinen Mächte können und sie müssen die Kernwaffenstaaten ständig an diese Verantwortung erinnern. Aber sie können auch mehr tun. Sie können sich in ihrer eigenen Politik von all dem trennen, was eine Zuspitzung der Spannung verursachen könnte.

Auf der Basis dieses Gedankens ergriff der frühere schwedische Außenminister Östen Unden im Herbst 1961 die bekannte Initiative zur Bildung eines Klubs der kernwaffenlosen Staaten, deren Mitglieder sich verpflichteten, an der Kernwaffenrüstung nicht teilzunehmen und es ablehnen, derartige Waffen auf dem eigenen Territorium für Rechnung anderer Staaten zuzulassen. Indem man auf diese Art kernwaffenfreie Zonen bildet, könnte man ein Ausbreiten von Kernwaffen verhindern und so die Gefahr des Ausbruchs eines Kernwaffenkrieges begrenzen.

In den Gesprächen über den Unden-Plan ist man bislang davon ausgegangen, daß als eine der Grundvoraussetzungen für seine Verwirklichung ein Vertrag der jetzigen Kernwaffenstaaten über das Verbot von Kernwaffentests zu gelten hat. Aus diesem Grund ist der Unden-Plan bis auf weiteres im Hintergrund geblieben. Da jedoch die Verhandlungen über die Einstellung von Kernwaffenversuchen sich mehr und mehr hinziehen, bekommt der Unden-Plan neue Aktualität. Beispielsweise erklärte der UNO-Generalsekretär U Thant kürzlich, daß man darangehen sollte, den Gedanken an die Bildung kernwaffenfreier Zonen energisch zu ventilieren, ungeachtet der Ergebnislosigkeit der Teststoppverhandlungen. Dies ist nach meiner Ansicht eine Stellungnahme, der man Beachtung schenken muß. Wenn sich das Stoppen der Ausbreitung von Kernwaffentests mit Hilfe eines Verbotsvertrags zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erreichen läßt, dann besteht Grund, über alle anderen zur Verfügung stehenden Mittel zur Erreichung dieses selben Ziels nachzudenken.

Auf Grund einer Initiative des UNO-Generalsekretärs U Thant wurde 1962 eine Untersuchung darüber durchgeführt, unter welchen Voraussetzungen die UNO-Mitgliedstaaten bereit wären, sich zu verpflichten, keine Kernwaffen zu beschaffen oder herzustellen oder auf ihrem Territorium für Rechnung eines dritten Staates zuzulassen. Sie ergab, daß die große Mehrzahl zumindest darin einig war, daß das Verhindern der Verbreitung von Kernwaffen im allgemeinen Interesse liegt. Das jüngste Weltgeschehen, unter anderem die Ende letzten Jahres ausgebrochene Krise, hat noch mehr als bislang gezeigt, daß jede Maßnahme, die zum Installieren von Kernwaffen in Gebieten führt, wo diese vorher noch nicht vorhanden sind, oder in die Verfügung von Staaten, welche derartige Waffen noch nicht zur Verfügung haben, die allergrößte Unruhe und Spannung entstehen läßt. Alle Vorschläge, die auf das Verhindern der Verbreitung von Kernwaffen hinzielen, geben damit allen Anlaß zu den ernstesten Reflexionen, unabhängig davon, von welcher Seite sie vorgelegt werden.

Man kann es sich als möglich vorstellen, daß alle die Länder, die keine Kernwaffen haben und deren Beschaffung nicht anstreben, sich -- am besten vielleicht durch regionale Verträge -- verbinden können, das Herstellen oder Entgegennehmen von Kernwaffen und deren Trägern zu unterlassen sowie Maßnahmen zu ergreifen, um eine internationale Anerkennung dieser Verpflichtung herbeizuführen.Nach meinem Verständnis müßte es im Rahmen der Möglichkeiten liegen, daß auch Bündnissen angeschlossene Länder einem derartigen kollektiven Vertrag beitreten. Theoretisch betrachtet, könnte sich als Endergebnis darstellen, daß nur kernwaffenbesitzende Länder außerhalb des Rings dieses Vertrags bleiben.

Als guten Anfang kann man die Erklärung vom 29. April dieses Jahres nehmen, worin die Präsidenten von Bolivien, Brasilien, Ekuador und Mexiko erklären, sie streben danach, kraft eines Vertrages ganz Lateinamerika zu einer atomwaffenfreien Zone zu machen und dafür internationale Anerkennung zu erhalten.

Wenn ich hiernach dazu übergehe, in diesem neuen Licht den Unden-Plan zu untersuchen, dann gehe ich natürlich von der Stellung Finnlands aus.

Unsere eigene Stellungnahme ist klar. Wie in der Antwort der finnischen Regierung auf die bereits erwähnte Untersuchung des Generalsekretärs konstatiert wurde, hat Finnland sich bereits im Friedensvertrag verpflichtet, keine Kernwaffen herzustellen oder zu beschaffen. Konsequenz unserer Neutralitätspolitik ist es, daß wir uns weigern, derartige Waffen für Rechnung eines anderen Staates entgegenzunehmen.

Die Sicherheit Finnlands ist eng mit der generellen Situation im Norden verbunden. Bekanntlich kamen die Staaten des Nordens dazu, in ihrer Sicherheitspolitik aus historischen und geographischen Gründen verschiedene Wege zu wählen: Finnland und Schweden haben die Neutralität gewählt, Dänemark und Norwegen die Mitgliedschaft im Atlantischen Bündnis. Aber niemand von ihnen hat es auf sich genommen, Atomwaffen zu beschaffen.

Die skandinavischen Länder bilden somit tatsächlich bereits eine kernwaffenfreie Zone. Dies ist bislang jedoch eine Sache der einseitigen Stellungnahmen. Eine Bekräftigung des bestehenden Zustands durch eine gegenseitige Verpflichtung auf die im Unden-Plan vorausgesetzte Art würde keine Veränderung in der von den skandinavischen Ländern verfolgten Politik mit sich bringen und ihre Sicherheitssituation nicht schwächen. Sie würde auch nicht die in der Welt herrschenden Stärkeverhältnisse erschüttern und mithin nicht die Interessen irgendeines dritten Staates nachteilig beeinflussen. Aber ich bin überzeugt davon, daß die Erklärung des Nordens zu einer kernwaffenfreien Zone auf bedeutende Weise die Stellung aller dieser Staaten stabilisieren würde. Das würde die skandinavischen Staaten unbestreitbar aus dem Kreis jener Spekulationen hinausführen, welchen die kernwaffenstrategische Entwicklung verursacht hat, und würde absichern, daß dieses Gebiet außerhalb der internationalen Spannung bleibt.